Montag, 19. Dezember 2016

Memento

Gestern musste ich nach Weimar, um meinen Hund dem Tierarzt vorzustellen. Der Weg dorthin führt mich über den Ettersberg und damit über Buchenwald, dem Konzentrationslager und später Sowjetischen Speziallager.

Oben auf dem Berg herrscht dichter Nebel. Ich will Luft schnappen und die Hund rauslassen vor dem Termin. Da ich häufig hier oben bin, kann mir die Atmosphäre nicht mehr so viel anhaben wie früher. Ich parke in der letzten Ecke des Parkplatzes, steige aus und lasse das Lager hinter mir, als ich in den Wald laufe.  Außer mir ist niemand da, ich wandere friedlich mit meinen Hunden bergab Richtung Ottstedt am Berge. Ich denke an alles Mögliche und verirre mich ein bisschen. Die Rehe wundern sich, warum mitten unter der Woche jemand in ihrem Wald herumläuft. Ich denke, ich hätte doch Wanderschuhe anziehen sollen. Nach einer Weile suche ich mir den nächsten Weg wieder bergan, um dann doch allmählich zu meinem Auto zurückzukehren. Plötzlich stehe ich vor einem dieser kleinen Schilder, die hier überall aufgestellt wurden, um uns daran zu erinnern, was früher hier war. Damals. Ein Aschegrab. Ich folge dem Pfad und stehe vor einem rießigen Loch. Rund herum große alte Bäume. Einer wächst am Rand des Trichters, beinahe als käme er aus dem Loch empor. Ich frage die Bäume, was sie alles gesehen haben. Die Hunde schnüffeln und tollen herum, der Kleine pisst an den Baum. War klar. Ich gedenke der Toten, die hier verstreut wurden und aus deren Arsche die Bäume wachsen, als sich zwei Menschen nähern. Ich rufe die Hunde. Die älteren Herrschaften stellen sich neben mich an den Rand des Aschegrabes. Die Hände der alten Dame umklammern das Geländer. Der Mann neben ihr zittert, sie weint. Ich stehe da und schaue zu Boden. Nach einer Weile drehe ich mich um und betrachte die Gedenksteine am Rand des Lochs. Ich seufze. Der alte Mann tritt einen Schritt näher zu mir. Wen ich verloren habe, fragt er leise. VIERTAUSEND, denke ich. Viertausend Menschen liegen in diesem Loch. Steht auf dem Schild. Viertausend Menschen haben wir alle verloren. Ich zucke die Achseln und sage nichts.
MEMENTO, sagen die Steine.

Ich laufe los,  orientiere mich und besuche meinen Lieblingsplatz: Einen Baumriesen, ganz dicht am Lager. Er ist tot, aber das macht nichts. Er lässt das Licht durch für all die kleinen Nachkommen, die an seiner Stelle wachsen wollen. Sie stehen schon rund um ihn herum. Eines Tages wird er umfallen und die Frage ist, was er unter sich begräbt und was stattdessen wachsen wird.